Mit nach oben gerecktem Kopf schreite ich durch die Menschenmenge. Zu meiner eigenen Hinrichtung. Nur noch wenige Meter trennen mich von der Stelle, an der ich sterben werde. Endgültig. Zu oft bin ich dem Tode entkommen, zu oft entwischt, habe mich in den dreckigen, engen Gassen und schmutzigen Winkeln des Lebens versteckt. Zu oft hatte ich Glück gehabt. Aber das hier, das würde das Ende sein. Die Leute starren mich aus wettergegerbten Gesichtern an, die Augen hasserfüllt, die Münder verzogen vor unterdrückter Wut. Sie verabscheuen mich. Das steht ihnen auch zu. Nichts anderes habe ich verdient. Die Fäuste geballt, steige ich die Stufen hinauf. Meine Kleider hängen in Lumpen herab. Die kostbare Seide, befleckt und zerrissen. Die früher weißen Kniestrümpfe, durchlöchert und nun grau. Ich habe Schrammen und Kratzer überall. Kommt von den Nächten im Kerker. Mein Gesicht juckt wie verrückt, ich unterdrücke den Drang, meine verbundenen Hände zu heben und zu versuchen, meinen Bart zu erreichen. Diese Genugtuung werde ich ihnen nicht gönnen. Trotzig schaue ich zu ihnen hinunter. Schaue jedem einzelnen ins Gesicht. Ich will ihnen die Erinnerung an diesen Tag ins Gedächtnis brennen. Für immer. Nie sollen sie ihn vergessen. Nie. Die Schultern gestrafft, stehe ich breitbeinig vor der Menschenmenge, bis man mich auf die Knie zwingt.Die Köpfe drehen sich zur mir. Auf den Boden. Nun sehen Sie auf mich herab. Alle, selbst die Kinder. Bis zum letzten Moment habe ich versucht stark zu sein. Habe meine Gefühle unter einer Maske versteckt. Unter der Maske eines Mörders. Ich weiß nicht, warum sie mich überhaupt ansehen können. Wäre ich einer von ihnen gewesen, ich hätte längst auf mein Gesicht gespuckt. Ein Schluchzen bahnt sich seinen Weg an die Oberfläche. Meine Maske bekommt Risse.
Ich presse die Augen zu. Schweißperlen laufen mir die Stirn herunter. Ich habe immer schon Angst vor dem Tod gehabt, war ein Feigling, bin davongelaufen. Habe mich vor den Verpflichtungen des Lebens gedrückt. Ich kann jetzt nicht weinen. Ich versuche mich zu entspannen, die letzten Atemzüge zu genießen, zu fühlen, wie die Luft durch meine Lungen strömt, mein Herz das Blut durch meinen Körper pumpt. Ich öffne die Augen, um ein letztes Mal den strahlend blauen Himmel, die blendende Sonne, das grüne Blätterdach über meinen Kopf mit meinem Blick einzufangen. Doch stattdessen blitzt mir nur das sich reflektierende Licht der hinunterschwingenden Axt entgegen. Meine Maske zerspringt, und ich fange an zu schreien.
Mein Leben war eine Fassade, gespielt. Alles, was ich tat, tat ich für mich, alles. Ich tat es um am Leben zu bleiben. Die Zeiten waren schwer, nichts war einfach. Die Welt meinte es nicht gut mit mir. Ich habe Menschen umgebracht, Familien zerrissen, Kinder misshandelt, jeden habe ich behandelt wie Müll. Und doch bin ich immer davon gerannt. Vor meinem Gewissen. Immer weiter, immer wieder. Aber jetzt tut es mir Leid. Es gibt keinen Weg mehr, den ich einschlagen könnte. Nichts mehr, wovor ich wegrennen könnte. Jetzt fange ich an zu bereuen. Es tut mir Leid.
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