Der Kampf um meinen Körper hat mich zerstört. Jahrelang habe ich mich gewehrt, habe mein Immunsystem wieder und wieder verflucht. Und es hat nichts genützt. Die Krankheit hat mich aufgefressen, hat mein Inneres nach Außen gekehrt, hat mich zudem werden lassen, wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte. Ein kraftloses, unbrauchbares Häufchen Elend. Völlig verzweifelt, am Rande des Wahnsinns. Ich hatte sie davor gewarnt, dass es so enden könnte. Doch sie haben nur traurig den Kopf geschüttelt, mich weiterhin angelächelt und mit Tränen in den Augen an mich geglaubt. Und ich habe versucht für sie stark zu bleiben. Habe versucht, das kleine Häufchen Elend hinter der mutigen und unerschütterlichen Mutter und Ehefrau zu verstecken, die ich ihnen vorspielte. Doch es hat nicht funktioniert.
Die Ärzte hatten sie beiseite genommen, hatten ihnen die rasende Verschlechterung meines Zustands beschrieben, und ihnen geraten, langsam, aber sicher Abschied zu nehmen. Ihre Besuche werden nun, wo es dem Ende zu geht, immer mehr. Sie verbringen Tag und Nacht an meiner Seite und wachen über mich. Müde, hungrig und leer im Inneren, weichen sie nicht von mir. Trauer, Schmerz und Trostlosigkeit umgibt sie. Ich schreibe dies in den frühen Morgenstunden. Sie sind Kaffee holen gegangen, nur die Kleine ist hier, liegt schlafend neben mir und kuschelt sich dabei an mich. Mir laufen Tränen über die Wange, ich kann sie nicht zurückhalten.
Höchstens eine Woche, bis ich ins Koma fallen werde. Zwei weitere Tage, bis mein Körper anfängt, seine Funktionen abzuschalten. Erst Riechen, dann Hören. Man hat mir erklärt, ich wäre dann ein Nichts. Ein Nichts in der unendlichen, schwarzen Leere, gefüllt mit meinen Gedanken. Wenn dieser Zeitpunkt eintrifft, werden sie mich für hirntot erklären und die Maschinen abstellen.
Tat es weh? Als es passiert ist? Kommt man in den Himmel? Erklär's mir, Mama. Denn ich kann nicht mehr. Ertrage es nicht, meine Familie leiden zu sehen. Denn ich kann es nicht ändern.
Ich gebe auf, aber werde immer weiterkämpfen. Und doch gebe ich auf. Denn ich bin hoffnungslos verloren.
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Sonntag, 30. November 2014
Samstag, 15. November 2014
In meinem eigenen Sarg.
Ich atme. Ein, aus. Ein, aus. Ich schließe die Augen, und versuche weg zuhören, um dem undurchdringlichem Geräusch der Stille und den unendlichen Farben der Dunkelheit zu entfliehen. Das darf nicht wahr sein. Ich fange an meinen Kopf zu schütteln, erst langsam, dann immer schneller. Meine Hände lösen sich langsam aus der Verkrampfung. Das Gefühl kommt in Armen und Beinen zurück, sie kribbeln. Ich versuche alle meine Glieder in Bewegung zu setzten, ertaste das Holz, in dem ich eingesperrt bin. Jetzt höre ich ihn, meinen Atem. Keuchend, stumpf. Meine Hände werden zu Fäusten, ich fange an gegen den Deckel meines kleinen Gefängnisses zu trommeln. Werde wieder panisch. Fange an zu schwitzen. Versuche mit aller Kraft gegen die Wände zu treten, mein Kopf schlägt gegen die Bretter. Ich will schreien, bringe aber keinen Ton raus. Tränen laufen mir über die Wangen, in meinen Mund, und tropfen mir vom Kinn. Alles dreht sich. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Liege ganz Still. Spüre nur noch Verzweiflung. Das wird mein Ende sein. Wut. Töten werde ich die Leute, die mich eingesperrt haben. Hass. Auf mich selbst, auf ihn, auf die Welt. Trauer. Was wäre wenn ich es nie getan hätte. Schuld. Ich habe mein Schicksal bestimmt, die Schuld trifft ganz allein mich. Und Verrat. Wegen ihm. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre alles anders. Alles.
Und ich fange an zu schreien. Schreie und schreie und schreie, bis ich nicht mehr kann. Und dann höre ich auf, starre ins Dunkel, Bilder ziehen an mir vorbei. Und ich beruhige mich, verschränke die Arme und schlafe ein, in meinem eigenen Sarg.
Ich weiß dass es vorher bestimmt war, mein halbes Leben hat man mich darauf vorbereitet. Hat mir erzählt wie es sein würde. Hat mich gewarnt, vor den Schmerzen. Doch ich habe zugestimmt. Hatte nichts mehr zu verlieren, bin alle Risiken eingegangen. Habe Hunger, Durst, das Ersticken und die Einsamkeit in Kauf genommen. Für die, die ich hinterlassen würde. Ein Opfer für vieles? Ja. Mit meiner Tat habe ich unzählige Leben gerettet. Mich freiwillig gemeldet, als einzige, für diese trostlose, kaputte Welt. Doch war sie es überhaupt wert? Gerettet zu werden? Eine Welt, dem Tode verdammt, mit lauter Feiglingen, die es nicht wagen, sich der Gefahr zu stellen? Ja. Sie war es. Sie ist es. Sie ist nicht so wie ich. Jedes Jahr ein Freiwilliger. Wenn ich es nicht getan hätte, wenn ich mich nicht dem Tod in die Arme geworfen hätte, wäre ich sowieso gestorben. Und zwar keines natürlichen Todes. Der Mörder wäre mein Gewissen gewesen. Denn ich habe es ihr versprochen. Dass ich sie retten würde. Doch dann war sie tot, und mein bester Freund war Schuld. Ich hätte ihn töten können. Rache nehmen. Doch ich wollte die Welt, von welcher ich ihn fern haben wollte, nur vor dem größeren Übel schützen. Mich. Also habe ich meinen Untergang gewählt. Ein Opfer gebracht. Ich will Vergebung.
Und ich fange an zu schreien. Schreie und schreie und schreie, bis ich nicht mehr kann. Und dann höre ich auf, starre ins Dunkel, Bilder ziehen an mir vorbei. Und ich beruhige mich, verschränke die Arme und schlafe ein, in meinem eigenen Sarg.
Ich weiß dass es vorher bestimmt war, mein halbes Leben hat man mich darauf vorbereitet. Hat mir erzählt wie es sein würde. Hat mich gewarnt, vor den Schmerzen. Doch ich habe zugestimmt. Hatte nichts mehr zu verlieren, bin alle Risiken eingegangen. Habe Hunger, Durst, das Ersticken und die Einsamkeit in Kauf genommen. Für die, die ich hinterlassen würde. Ein Opfer für vieles? Ja. Mit meiner Tat habe ich unzählige Leben gerettet. Mich freiwillig gemeldet, als einzige, für diese trostlose, kaputte Welt. Doch war sie es überhaupt wert? Gerettet zu werden? Eine Welt, dem Tode verdammt, mit lauter Feiglingen, die es nicht wagen, sich der Gefahr zu stellen? Ja. Sie war es. Sie ist es. Sie ist nicht so wie ich. Jedes Jahr ein Freiwilliger. Wenn ich es nicht getan hätte, wenn ich mich nicht dem Tod in die Arme geworfen hätte, wäre ich sowieso gestorben. Und zwar keines natürlichen Todes. Der Mörder wäre mein Gewissen gewesen. Denn ich habe es ihr versprochen. Dass ich sie retten würde. Doch dann war sie tot, und mein bester Freund war Schuld. Ich hätte ihn töten können. Rache nehmen. Doch ich wollte die Welt, von welcher ich ihn fern haben wollte, nur vor dem größeren Übel schützen. Mich. Also habe ich meinen Untergang gewählt. Ein Opfer gebracht. Ich will Vergebung.
Dienstag, 11. November 2014
Und im nächsten Moment.
Die Welt zieht unter uns vorbei. Flüsse, Wiesen, Felder, Dörfer, große Städte, kleine Städte, Wälder, Seen, Industriegebiete. Nichts von all der Ruhe, die die gleichmäßig brummenden Triebwerke ausstrahlen, lässt darauf hindeuten, dass sich das Flugzeug in weniger als einer Stunde zersplittert, ausgebrannt und mit Leichen auf dem Erdboden befindet. Nichts lässt vermuten, dass sich diese entspannte Atmosphäre, die Gespräche der Passagiere, das leise Rollen der Wagen, den die Stewardess durch die engen Gänge schieben, gleich in eine Hölle verwandeln wird, in eine verschwimmende Flut aus Chaos und Angst. Die Wolken ziehen an uns vorbei, den Eindruck vermittelnd, man könnte auf ihnen herumspringen, weich und fest, wie Zuckerwatte. Nicht einmal die leichten Turbulenzen stören die Menschen. Es wird Musik gehört, gelacht, geschlafen, gegessen. In weniger als einer Stunde wird man einen fürchterlichen Gestank riechen, dass linke Triebwerk wird anfangen zu qualmen und in Flammen aufgehen. Die Maschine wird sich zur Seite neigen, eine Spur aus Rauch hinterlassend. Die Menschen werden anfangen zu schreien, verzweifelt die Atemmasken herunterreißen und beten. Das Handgepäck wird aus den Schränken fallen, im Flugzeug wird Panik ausbrechen, der Pilot wird versuchen die Menge zu beruhigen, die Lichter werden ausfallen, ebenso die Schwerkraft, wenn das Flugzeug mit immer mehr Geschwindigkeit auf den Erdboden zurast. Man wird durchgeschüttelt werden, sich gegen den Sitz pressen, mit den Händen die Lehnen umklammern und dem eigenen Tod in die Augen sehen. Der Pilot wird endgültig die Kontrolle verlieren. Man hört Babys quengeln, alte Menschen schreien und junge ebenso. Das Flugzeug wird auf den Erdboden prallen, explodieren, die Körper der Menschen in der Umgebung verteilen. Und dann -
"Möchten sie noch etwas zu trinken, Miss?"
"Einen Brandy und eine Schlaftablette, bitte. Ich habe so schreckliche Kopfschmerzen."
Der Widerstand bricht.
Das Wasser fließt in kleinen Rinnsälen die Wände herunter, der Boden ist mit kleinen Pfützen übersät, die Luft fühlt sich erdrückend und feucht an. Hier und da hört man Geräusche der Kleintiere, die sich hier nur so tummeln. Ich klammere mich an seinen Arm, drücke mein tränennasses Gesicht in sein dreckiges Hemd. Der Gang ist so schmal, ohne das wochenlange Hungern könnten wir hier niemals nebeneinander hergehen. Bei dem Versuch dem ekligen, angesammeltem Wasser auszuweichen, stolpere ich, und er zieht mich nur noch fester an sich. Die Wachen, schwer bewaffnet, haben uns eingekesselt. Wir gehen weiter, immer tiefer in den Berg hinein, immer dunkler werden die Schatten der Lampen, die in einigen Metern Abstand an der Wand angebracht wurden. Mittlerweile hört man nur noch das Knirschen unserer Schritte im feuchten Kies, selbst die Ratten sind weg. Unser Atem bildet über unseren Köpfen kleine Dampfwolken. Mein Blick fällt auf die Uniform des Mannes vor uns. Steif vor Dreck, in dem Licht ein schmutziges Braun. An einigen Stellen sind dunkle Flecken zu erkennen, die sich noch matt und feucht vom Rest abheben. Ich will gar nicht wissen, was das ist, oder besser, von wem. Ein Kälteschauer überläuft mich, ich sehe weg. Meine eigenen Kleider hängen an mir runter, ebenfalls dunkelbraun, ebenfalls fleckig. Ich presse meine Lippen aufeinander und runzele angestrengt die Stirn. Sein Gesicht hat den gleichen Ausdruck, wir wissen beide, was uns erwartet. Das Wasser bedeckt nun vollständig den Boden, und während wir weitergehen, durchweichen meine Strümpfe immer mehr. Der Mann vor uns stoppt. Der Gang hört auf, endet in einer kleinen Höhle. Mit jeweils 2 Türen, beide geöffnet. Leer. Auf Brusthöhe ist jeweils ein Kasten neben jeder Tür angebracht. Verschiedene Knöpfe, in verschiedenen Farben. Sie reißen uns auseinander, der eine packt mich an den Hüften und will mich in einen der Räume schubsen. Ich schreie, schlage auf ihn ein, zerkratze ihm das Gesicht. Liege aber trotz allem Widerstand keuchend auf dem Boden. Er schlägt die Tür zu. Ich kann nicht mehr denken. Schreie und schreie. Höre seine durch die dicken Wände. Trommle mit den Fäusten auf sie ein. Mein Gesicht, vor Wut und Trauer und Hoffnungslosigkeit verzerrt. Ich schluchze. Ich hatte es kommen sehen. Aber ich dachte, sie würden uns die Gnade erweisen und uns zusammen sterben lassen. Teilnahmslos, plötzlich ruhig rutsche ich die Mauer runter. Spüre sein Leid mehr als meines. Ich bin still. Versuche alles zu vergessen. Höre das Gas aus der offenen Leitung an der Decke strömen. Fange an zu weinen. Fange an zu schwitzen. Die Schreie auf der anderen Seite der Wand verstummen. Mein Kopf wird schwer, ich schnappe nach Luft. Meine Augen fallen zu. Mein Körper, durch Krämpfe geschüttelt. Im Todeskampf. Lasse es geschehen. Lasse alles los.
Montag, 10. November 2014
Die letzten Gedanken eines Mörders.
Mit nach oben gerecktem Kopf schreite ich durch die Menschenmenge. Zu meiner eigenen Hinrichtung. Nur noch wenige Meter trennen mich von der Stelle, an der ich sterben werde. Endgültig. Zu oft bin ich dem Tode entkommen, zu oft entwischt, habe mich in den dreckigen, engen Gassen und schmutzigen Winkeln des Lebens versteckt. Zu oft hatte ich Glück gehabt. Aber das hier, das würde das Ende sein. Die Leute starren mich aus wettergegerbten Gesichtern an, die Augen hasserfüllt, die Münder verzogen vor unterdrückter Wut. Sie verabscheuen mich. Das steht ihnen auch zu. Nichts anderes habe ich verdient. Die Fäuste geballt, steige ich die Stufen hinauf. Meine Kleider hängen in Lumpen herab. Die kostbare Seide, befleckt und zerrissen. Die früher weißen Kniestrümpfe, durchlöchert und nun grau. Ich habe Schrammen und Kratzer überall. Kommt von den Nächten im Kerker. Mein Gesicht juckt wie verrückt, ich unterdrücke den Drang, meine verbundenen Hände zu heben und zu versuchen, meinen Bart zu erreichen. Diese Genugtuung werde ich ihnen nicht gönnen. Trotzig schaue ich zu ihnen hinunter. Schaue jedem einzelnen ins Gesicht. Ich will ihnen die Erinnerung an diesen Tag ins Gedächtnis brennen. Für immer. Nie sollen sie ihn vergessen. Nie. Die Schultern gestrafft, stehe ich breitbeinig vor der Menschenmenge, bis man mich auf die Knie zwingt.Die Köpfe drehen sich zur mir. Auf den Boden. Nun sehen Sie auf mich herab. Alle, selbst die Kinder. Bis zum letzten Moment habe ich versucht stark zu sein. Habe meine Gefühle unter einer Maske versteckt. Unter der Maske eines Mörders. Ich weiß nicht, warum sie mich überhaupt ansehen können. Wäre ich einer von ihnen gewesen, ich hätte längst auf mein Gesicht gespuckt. Ein Schluchzen bahnt sich seinen Weg an die Oberfläche. Meine Maske bekommt Risse.
Ich presse die Augen zu. Schweißperlen laufen mir die Stirn herunter. Ich habe immer schon Angst vor dem Tod gehabt, war ein Feigling, bin davongelaufen. Habe mich vor den Verpflichtungen des Lebens gedrückt. Ich kann jetzt nicht weinen. Ich versuche mich zu entspannen, die letzten Atemzüge zu genießen, zu fühlen, wie die Luft durch meine Lungen strömt, mein Herz das Blut durch meinen Körper pumpt. Ich öffne die Augen, um ein letztes Mal den strahlend blauen Himmel, die blendende Sonne, das grüne Blätterdach über meinen Kopf mit meinem Blick einzufangen. Doch stattdessen blitzt mir nur das sich reflektierende Licht der hinunterschwingenden Axt entgegen. Meine Maske zerspringt, und ich fange an zu schreien.
Mein Leben war eine Fassade, gespielt. Alles, was ich tat, tat ich für mich, alles. Ich tat es um am Leben zu bleiben. Die Zeiten waren schwer, nichts war einfach. Die Welt meinte es nicht gut mit mir. Ich habe Menschen umgebracht, Familien zerrissen, Kinder misshandelt, jeden habe ich behandelt wie Müll. Und doch bin ich immer davon gerannt. Vor meinem Gewissen. Immer weiter, immer wieder. Aber jetzt tut es mir Leid. Es gibt keinen Weg mehr, den ich einschlagen könnte. Nichts mehr, wovor ich wegrennen könnte. Jetzt fange ich an zu bereuen. Es tut mir Leid.
Ich presse die Augen zu. Schweißperlen laufen mir die Stirn herunter. Ich habe immer schon Angst vor dem Tod gehabt, war ein Feigling, bin davongelaufen. Habe mich vor den Verpflichtungen des Lebens gedrückt. Ich kann jetzt nicht weinen. Ich versuche mich zu entspannen, die letzten Atemzüge zu genießen, zu fühlen, wie die Luft durch meine Lungen strömt, mein Herz das Blut durch meinen Körper pumpt. Ich öffne die Augen, um ein letztes Mal den strahlend blauen Himmel, die blendende Sonne, das grüne Blätterdach über meinen Kopf mit meinem Blick einzufangen. Doch stattdessen blitzt mir nur das sich reflektierende Licht der hinunterschwingenden Axt entgegen. Meine Maske zerspringt, und ich fange an zu schreien.
Mein Leben war eine Fassade, gespielt. Alles, was ich tat, tat ich für mich, alles. Ich tat es um am Leben zu bleiben. Die Zeiten waren schwer, nichts war einfach. Die Welt meinte es nicht gut mit mir. Ich habe Menschen umgebracht, Familien zerrissen, Kinder misshandelt, jeden habe ich behandelt wie Müll. Und doch bin ich immer davon gerannt. Vor meinem Gewissen. Immer weiter, immer wieder. Aber jetzt tut es mir Leid. Es gibt keinen Weg mehr, den ich einschlagen könnte. Nichts mehr, wovor ich wegrennen könnte. Jetzt fange ich an zu bereuen. Es tut mir Leid.
Sonntag, 9. November 2014
Selbst wenn.
Ich wäre ihm kein Freund gewesen, wenn ich ihn jetzt hier
liegen und einfach sterben lasse. Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich sie hätte,
würde ich bleiben. Ich würde ein Gebet sprechen, ihn beerdigen. Ein Kreuz
aufstellen. Aber ich weiß dass es nicht geht. Und er würde es auch wissen. Dass
ich keine Zeit habe. Ich knie mich vor ihm hin, sehe seinen verwesenden Körper,
unschuldig und gebrechlich auf dem Boden liegen. Die Krankheit hat Narben
hinterlassen. Seine Haut ist gelblich, an manchen Stellen blau und grün, er hat
Beulen und Geschwüre im Gesicht. Mit zwei Fingern schließe ich seine Augen und
küsse ihn auf die Stirn. Ich hoffe er verzeiht mir. Ich hoffe es so sehr.
Ich stehe auf und hänge mir meine Tasche um. Tränen fließen
über mein Gesicht. Ich stolpere blind und fange an zu laufen. Entfernt höre ich
sie kommen. Sie werden bald hier sein, auf seine Leiche hinab sehen und ihn
verbrennen. Ich versuche schneller zu werden, wische mir mit meiner erdigen
Hand über die Augen. Wenn sie mich finden, bin ich tot. Ein besseres Ende kann
ich nicht erwarten. Ich habe keinen Diebstahl begangen, keine wehrlosen Kinder
misshandelt. Dafür wäre ich in den Kerker gekommen. Nein. Aus der Sicht der
Leute, die mich suchen, bin ich ein Dämon, eine Hexe, ein einziger Verstoß
gegen das kirchliche Gesetzt, die Bibel. Ich werde verbrannt oder ertränkt.
Ich erreiche den Wald, hier werde ich mich verstecken
können. Vor den Menschen, die mich suchen und töten wollen, für etwas, was ich
nicht bin.
Die Sonne nähert sich immer mehr dem Horizont. Seit Stunden
sitze ich auf einem Ast und warte auf weitere Geräusche, die meine Verfolger verursachen.
In der Abenddämmerung muss ich hier weg, sie werden mit Fackeln und Mistgabeln
bewaffnet in der Dunkelheit nach mir suchen. Die Schatten Der Bäume und Büsche
werden länger, die Blätter schimmern golden und immer mehr Tiere wagen sich aus
ihren Verstecken. Ich sehe ein letztes Mal zu der Stelle zurück wo ich ihn
zurück gelassen habe. In der Ferne steigen Rauchschwaden in den Himmel empor.
Ich schließe die Augen und denke an den Jungen zurück, den ich kennengelernt
habe, gesund, fröhlich, voller Hoffnung auf eine bessere Welt. Ich will ihn
nicht krank in Erinnerung behalten. Nicht, wenn ich an ihn denke, den von der Krankheit
befallendem Körper vor Augen haben. Stattdessen sehe ich einen großen Jungen, mit
dichtem Haar, blaugrauen Augen und gerader Nase. Er hat lumpige
Kleidung an, genau wie ich, welche früher einmal ordentlich und gepflegt war.
Seine Haut ist dreckig und wenn er lacht, bekommt er Grübchen in den
Mundwinkeln. Er hat einen schiefen Zahn. Genauso und nicht anders . Ich öffne die Augen und klettere
vorsichtig den Baum herunter. Mit einem letzten Blick zurück laufe ich los,
immer im Schutz der Dunkelheit. Ich liebe dich, Jeremiah.
Ich höre die Schreie der Menschen, die durch den Wald laufen
und nach einem Monster suchen, das es gar nicht gibt. Ich laufe schneller und
atme die vertrauten Gerüche ein: Kiefer, Gras, brennendes Feuerholz. Ich glaube
Stimmen zu hören, die strenge, laute meiner Mutter, die freundliche, liebenswürdige meines Vaters, die schrillen Stimmen meiner Schwestern und die
sanfte Stimme Jeremiah's…
Plötzlich ist es still. Totenstill, als würde der Wald den
Atem anhalten. Ich höre die Stimmen der Menschen nicht mehr, ich höre gar
nichts. Langsam bekomme ich Angst. Keuchend bleibe ich stehen und ringe nach
Atem. Ich darf das nicht. Stehenbleiben. Ich muss weiter. Ich zwinge mich, einen Fuß nach dem anderen. Das plötzliche Knacken eines Astes ist nicht zu überhören. Das war kein Tier, da bin ich mir
sicher. Blitzschnell drehe ich mich um, bereit wegzurennen. Aus dem tiefen Schatten zweier Bäume löst sich
eine Gestalt, mittelgroß und breit gebaut. Mehr kann ich in dem Licht nicht
erkennen. Ich sehe gelbliche Zähne aufblitzen, solche, wie fast jeder hier sie
hat. Die Person kommt näher, ich dagegen weiche zurück. Ich versuche zu
erkennen, ob dieser jemand eine Waffe in der Hand hält, vergebens. So stehen
wir da, sehen uns einfach nur stumm an,
ich wiege meine Chancen ab. Ich bin schnell. Ich muss ihn ablenken, dann ist
die Überraschung auf meiner Seite. Ich konzentriere mich, als er anfängt zu
sprechen. ,, Wohin willst du ?“ ,,Ich hätte wissen müssen das du es bist.
Deinen Gestank rieche ich bis hier“, antworte ich zischend. ,, Wie immer nett
und höflich, was ? Nur das dir das in deiner Position nicht gerade hilfreich
ist.“ ,,Was willst du, Will ?“ ,, Nichts, was du mir freiwillig geben würdest.
Dir ist hoffentlich klar, dass mich jeder in diesem Wald hören kann wenn ich
schreie. Ich könnte so tun, als hättest du mich verhext. Ein bisschen Schaum im
Mund und verdrehte Augen, und schon liegst du gefesselt am Grund des Sees.
Dabei wissen wir ja beide, dass du es nicht bist. Wo ist dein lächerlicher
kleiner Freund? ‘‘ „ Verpiss dich ‘‘. ,,
Ich seh schon. Du willst nicht mit mir reden. Nun gut. Weißt du, ich frage mich
die ganze Zeit, wieso er und nicht ich?
Schicksal
Manche Menschen meinen, sie könnten sich einmischen, in
Dinge, die sie nichts angehen. Es ist so, als würde man die Urgewalten der Erde
gegenüber stellen. Du weißt dass es wahnsinnig ist, selbstmörderisch,
zweifelhaft und katastrophal, und dennoch fasziniert dich das Szenario, wenn
Sie wie bei einer Kollision aufeinander treffen und alles in Ihrem Umfeld in
den Tod reißen. Einsam, und doch Teil eines Universums. Still im dunklen
Weltall, die Sterne über dir, beobachtest du die Reste. Übrig gebliebene,
langsam verwesende Brocken der Geschichte, die um dich herum irren, versuchen,
die betuchten Klauen um dich zu legen, dich mit in die Vergangenheit zu nehmen.
Dorthin, wo das Vergessen unmöglich ist und die Schreie niemand hören kann. Das
Schicksal lässt nicht von dir ab, es umgibt dich wie Luft, wabernd, auf der
Hut. Zeige nur eine Schwäche, eine winzige Stelle der Verletzbarkeit, und es
greift an. Es lässt nie von dir ab. Nicht jetzt, nicht morgen. Nie. Es ist unumgänglich,
die Gesetzte des Lebens unumstößlich. Sei aufmerksam, weich aus, wenn du
kannst. Es ist als würdest du vor einer
Tür stehen. Du merkst dass etwas Bedrohliches dahinter lauert, du hast Angst,
fühlst dich unwohl, bist neugierig. Sie liegt vor dir, du verspürst einen
Drang, den Türgriff zu drücken. Lauf, wenn du kannst. Renn. Und wenn nicht, siehe durch das Schlüsselloch. Aber um Himmels
Willen, öffne sie nicht.
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