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Mittwoch, 23. November 2016

Wir, nur Dreck unter den Fingernägeln.

Das schmatzende Geräusch der schweren Schritte hallt durch den breiten Gang, die schwere Arbeitskleidung hängt an meinen Schultern. Der Helm sitzt lose auf meinem Kopf, Tücher hab ich mir notdürftig in die Hosentasche gestopft. Keiner redet, alle gehen schweigsam über die Stahlplatten, die sich langsam neigen und in einer Sackgasse enden. Durch das Gitter kann ich die dicken Stahlseile erkennen, die den Fahrstuhl hoch und hinunter bewegen, die Räder sind verrostet. Das Metall wird zu Seite gezogen, ein Quietschen ertönt, zieht mir durch Mark und Bein. Der Aufzug füllt sich, die Gesichtsausdrücke der Arbeiter emotionslos, eine Fassade. Sie bereiten sich auf die stickige Luft, das beklemmende Gefühl der Enge vor, dass einen hunderte Meter unter der Erdoberfläche ereilt. Die bodenlose Angst, das letzte Mal das Tageslicht gesehen zu haben, verschwindet nie. Sie ist immer da.
Mit einem Ruck setzt sich der Aufzug in Bewegung, rast hinunter in die Tiefe. Ich kann die einzelnen Schächte verschwommen erkennen,zähle mit, blende alles aus. Es ist unglaublich laut und kalt hier. Die Luft wird dünner, man spürt es, wie sie, feucht und Klamm, sich in deiner Kleidung festsetzt und einen dünnen Schweißfilm auf deiner Haut bildet. Mit einem lauten Knall kommt der Korb zum stehen, das Gitter öffnet sich. Der Stollen besteht noch nicht lange, das erkennt man auf den ersten Blick.
Überall stehen Eimer mit Kohle herum, es gibt keine Elektrizität, aus den Wänden ragen spitze Steine hervor. Stahl, aber übermäßig Holzträger stützen diese Sohle, stehen wacklig auf dem schlammigen Untergrund. Die anderen greifen zu Haken, Spaten, Spitzhacken.  Während wir langsam weitergehen wird der Gang immer niedriger, bis er schließlich abrupt aufhört. Mittlerweile kriechen wir auf Händen und Knien. Ohne ein Wort zu sagen, macht sich die Gruppe an die Arbeit. Der Schweiß rinnt mir den Nacken herunter, ich kann spüren, wie sich der Kohlestaub in meiner Lunge festsetzt, ich bearbeite die Steine vor mir, ohne etwas zu sehen, denn die Lampen spenden kaum Licht. Erst letzte Woche hat sich einer von den anderen die Hand abgeschlagen, der Knochen war zersplittert, die Spitzhacke blieb stecken. Bis man ihn im Schneckentempo den Schacht entlang zum Korb gebracht hatte, war er verblutet. Den Fall hatte man vertuscht, das Ministerium die Zeugen ruhig gestellt und den Angehörigen erzählte man, das man einen Herzinfarkt hatte und zahlte Schmerzensgeld. So lief es nun mal. Die Leute brauchen uns, unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten wir unter Lebensgefahr und enden meistens trotzallem als unbekannte Leiche in einem namenlosen Sarg, da der Körper nach langem Aufenthalt im Wasser bis zur Unkenntlichkeit hin aufquillt. So lief es früher, so läuft es heute.
Die Stunden vergehen, und gegen Mittag läutet eine Glocke, die uns sagt, dass wir Pause machen sollen. Eine reine Notwendigkeit, nichts, dass sie uns aus Güte zusprechen würden.
Es werden Wasserflaschen herumgereicht, in den Gängen der Minen hallt das Gemurmel wieder, vereinzeltes Gelächter ertönt. Meistens zünden sie sich auch eine Zigarette an, bei der schlechten Luft hier ist es sowieso egal. Jeder hier ist sich bewusst, dass er das hohe Alter nicht erreicht, dass nie Falten seine Haut und graue Haare seinen Kopf bedecken. Und stattdessen schweigen sie es tot und versuchen damit klar zu kommen. Sie verkümmern in den Tiefen unter der Erde, wo ihr Lachen niemals an die Oberfläche dringt und ihre Hände niemals sauber sind.
Die Pause ist vorbei, der schlurfende Gang erfüllt die Tunnel, Dreck rieselt uns in die Haare. Der Geruch nach Schweiß wird in den nächsten Stunden zunehmen, die Innere Uhr, die ein jeder von uns hat, tickt. Das Ende rückt näher, die Vorfreude, den beklemmenden Fängen der Erde zu entkommen, steigt, je weiter wir graben. Der Klang unserer Werkzeuge auf Steinen, Klumpen und Sand ist monoton, immer derselbe, im Rythmus. Wir sind ein eingespieltes Team. Wir atmen gleich, ein, und aus.
Was wir heute nicht schaffen, machen wir morgen, und was wir morgen nicht schaffen, machen wir übermorgen. Immer wieder und immer weiter, und graben wir hier fertig, graben wir woanders.
So ist es und so wird es immer sein.
Mein letzter Gedanke, bevor die Schaufel eines Kumpels auf etwas Spitzes trifft, er aufschreit und in Flammen aufgeht, eine riesige Feuerwalze, rot und schwarz und unglaublich heiß, aus dem Rohr tritt, und ich instinktiv die Augen schließe und meinen Kopf Richtung Himmel hebe, ist: Wie lange werde ich heute bloß brauchen, um den Dreck unter den Fingernägeln wegzuschrubben?